Montag, 21. März 2011

San Salvador - Peter Bichsel

Vor mir stand eine junge Frau. Sie wirkte irgendwie gestresst, als hätte sie einen Zug, den sie noch ganz dringend erwischen müsste. Vor lauter Hast fiel ihr eine Münze zu Boden, sie bemerkte es nicht einmal, kramte weiter in ihrem Portemonnaie herum, bis sie den entsprechenden Betrag zusammen gesucht hatte. Etwas mühsam bückte ich mich und hob die kleine Münze auf. Jahrgang 1953 - mein Geburtsjahr. Ich schmunzelte. Dann gab ich der jungen Frau ihre Münze zurück. Mit einem freundlichen Lächeln bedankte sie sich und kehrte mir wieder den Rücken zu. Kurz darauf war sie fertig, verabschiedete sich und ging. Nun war ich an der Reihe. Die Verkäuferin grüsste, nahm die Füllfeder, die ich vorher auf den Tisch gelegt hatte, tippte etwas ein, nahm die Packung Tinte, tippte wieder etwas ein. "Entschuldigen sie,", begann ich, "können sie mir sagen, ob diese Tinte auch wirklich schwarz wird, wenn sie trocknet?" Die Dame lächelte freundlich, nickte, vergewisserte mir, dass sie schwarz werde, nickte abermals und begann mir schliesslich zu erzählen, dass sie diese Frage oft zu hören bekäme. Etwas überrascht über den Wortschwall, der doch mit viel Freude und Enthusiasmus vorgetragen wurde (die Frau tat ja schliesslich Tag ein Tag aus das Gleiche) nickte ich ebenfalls (wenn auch nicht so heftig wie die Verkäuferin) zahlte und verliess die Papeterie durch die alte Holztür, durch die ich schon so oft gegangen war.
Zu Hause setzte ich mich an den runden alten Holztisch. Ein grosser Kratzer zierte die Platte und erinnerte mich jedes Mal wieder an die alte Blumenvase, die damals zu Bruch ging und an Hildegards erschrockenen, entsetzten Blick, als sie das Unglück zu Gesicht bekam. Schon seit langer Zeit hatte ich vor, die Platte einmal auszutauschen gegen eine neue, ohne Kratzer. Geschafft habe ich es nie, wobei ich nicht einmal einen guten Grund nennen kann. Es gibt nun einmal Dinge im Leben, die man nie schafft, sei dies nun der Austausch einer Holzplatte oder ein Städtetrip nach New York.
Etwas überschwänglich, beinahe stolz, packte ich meinen neuen Füller aus. Wunderschön war er, schwarz, mit einem goldenen Ring am Deckelrand,. Einfach, aber wunderschön. Ein Gefühl des Glücks überkam mich (man leistet sich ja schliesslich nicht alle Tage einen neuen Füller) und freudig machte ich mich daran, ihn aus zu probieren; feststellend, wie gut die Füllfeder in meiner Hand lag. Viel besser als die alte. Ab jetzt würde ich nur noch die neue benutzen, nie mehr die alte. Die alte konnte Hildegard ja haben.
Zuerst schrieb ich meine Unterschrift auf ein Blatt, einmal, dann noch einmal. Grösser. Kleiner. Schneller. Schöner. Dann meine Initialen, P.S.. Mit der Zeit hatte ich den Dreh raus, meine Schrift schien richtig sauber, um nicht zu sagen perfekt. Plötzlich machte mir das Schreiben Spass, ich begann meine Adresse aufzuschreiben, dann die meiner Eltern, wobei ich mir vorstellte, ihnen einen Brief zu schreiben, einen seitenlangen, einen perfekten. Einen Brief, in dem sie endlich einmal meine dichterische  
Gewandtheit anerkennen würden, läsen, wie erfolgreich ich doch bin und stolz auf mich wären. So stolz, wie es die Eltern eben auf ihr Kind einfach sind, egal was es tut, wofür es sich entscheidet.
Doch kaum ausgedacht, schlug ich mir die Idee wieder aus dem Kopf. Der Brief würde doch niemals seitenlang werden, niemals perfekt. Ich hatte weder dichterische Begabung, noch stolze Eltern. Wahrhaftig schlechte Vorraussetzungen.
nun sass ich da, an einem kleinen runden Holztisch, hinter einem Fenster mit vergilbten Vorhängen. Hinter dem Fenster lag eine grüne Wiese, saftig und ebenmässig, unterbrochen durch eine Reihe grosser, alter Laubbäume, die nicht nur eine seltsam gerade Linie in der Landschaft, sondern auch meinen Horizont darstellten. Oft betrachtete ich diese Linie, mal genauer, mal unbewusst, während ich an meinem Tisch sass und die Ruhe genoss, über mich ergehen liess. Dann nahm ich einen neuen Bogen zur Hand, schrieb Buchstabe für Buchstabe, wie von aussen gelenkt: 'Mir ist es hier zu kalt', dann, 'ich gehe nach Südamerika'. Und zu Schluss darunter: 'Paul'.
Gespannt beobachtete ich, wie die Tinte eintrocknete und wartete darauf, dass sie schw

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